Nepal (Teil 2): Die Ziegelei ist das Leben

Reise nach Nepal im Januar 2024 mit KNH-Botschafterin Sabine Heinrich, Teil 2: Wie sich der harte Überlebenskampf der Familien anfühlen muss, erfahre ich während unseres Besuchs in einer Ziegelei. Dort treffen wir eine Familie, die drei Generationen umfasst. Kinderarbeit und Kinderehen sind hier tägliche Realität – trotz gesetzlicher Verbote. Unsere Partner RDC (Rural Development Center) und Chhori („Die Tochter“) kämpfen täglich dafür, dass die Kinderrechte in Nepal nicht nur auf dem Papier stehen.

Ein Mann hockt in einer Ziegelei vor einem Ziegelstapel, flankiert von zwei stehenden Jugendlichen
Mit 36 schon Großvater. Rechts hinten sein Sohn, auch schon Vater.

Er könnte mein Sohn sein und ist schon Opa. Ich treffe ihn und seine Familie am Rande einer Ziegelei im südlichen Nepal. Hier arbeitet er bereits im dritten Jahr. Das heißt: In der Trockenzeit von Oktober bis Mai lebt und schafft er auf dem Ziegeleigelände. Ab Juni, wenn die feuchte Monsunluft von Süden vordringt, an den Bergketten des Himalayas aufsteigt und sich schließlich abregnet, steht das Gelände unter Wasser. Dann geht er als Taglöhner auf Wanderschaft. Seine Familie ist dann entweder mit ihm unterwegs oder zieht für die Regenzeit in ihr Heimatdorf. Am Ende des Monsuns, Mitte September, wenn die Ziegelsaison neu startet, ziehen sie wieder zusammen in eine Ziegelei, ihr Zuhause für ein halbes Jahr.

In der Ziegelei

Er hockt auf dem Boden vor einem Ziegelstapel, während er mir von seinem Leben erzählt. 36 Jahre sei er alt, und Ziegel mache er, seit er sechs ist, so wie vor ihm schon sein Vater. Ja, er sei auch verheiratet, schon lange.

Eine Frau im bunten Sari hält die Enkeltochter auf der Hüfte
Die Großmutter der Familie mit Taral

Seine Frau – er winkt ihr zu – steht ein paar Schritte entfernt. In ihrem orangefarbenen Kleid, einem leuchtenden Farbtupfer zwischen den grauen Ziegelreihen, ist sie leicht zu erkennen. Mit ihren 35 Jahren ist auch sie zweifache Großmutter. Gerade nimmt sie ihren fünfjährigen Enkel auf den Arm, da gesellt sich ihr Sohn zu uns und verfolgt unser Gespräch neugierig. Er ist 20, beantwortet er meine Frage, und stellt auch gleich das Alter seiner Frau vor, mit der er den Fünfjährigen und ein eineinhalbjähriges Mädchen hat. Seine Frau, meint er, die sei 17.

Eine Familie aus drei Generationen, die mit hunderten anderen in der Ziegelei lebt und arbeitet. Wirtschaftliche Ausbeutung, Frühverheiratung, kein Bildungszugang – die Verletzung von Kinderrechten hat hier viele Gesichter.

1000 Ziegel für sechs Euro

Schon die Kleinsten, Fünf- und Sechsjährige wie der muntere Taral mit seinen zwei Zöpfchen, sind hier hart am Arbeiten: Holzform mit Sand ausstreuen, Lehm hineinpressen, Ziegel vorsichtig herauskippen, zum Trocknen auslegen. Im Lauf des Tages unterhalte ich mich mit mehreren Kindern auf dem Gelände der Ziegelei. Keines nimmt sich die Zeit, nur so mit mir zu reden. Die meisten knien währenddessen vor einem Berg von feuchtem Lehm und formen, während wir uns unterhalten, mit ihrer Holzmodel frische Ziegel.

1000 Ziegel schafft ein Erwachsener pro Tag, wenn er nicht abgelenkt wird. 1000 Ziegel bedeuten 900 Rupien Lohn am Ende der Saison, umgerechnet ca. sechs Euro. Wenn alle aus der Familie – auch die Kinder – mithelfen, sind gemeinsam bis zu 2000 Ziegel am Tag machbar. Davon lebt die Familie dann auch den Rest des Jahres.

Mutter mit 12 Jahren

Und wenn das Geld aus der Ziegelei doch nicht reicht für alle? Dann greift mitunter eine weitverbreitete Tradition: die frühe Verheiratung der Kinder. In der Region Chandrapur werden 29% der Mädchen vor ihrem 18. und knapp 9% vor ihrem 15. Lebensjahr verheiratet. Sobald ein Mädchen menstruiert, gilt sie als heiratsfähig. So werden zwölf-, dreizehnjährige Kinder in eine Beziehung gepresst, die sie vermeintlich wirtschaftlich versorgen soll, die sie tatsächlich – fühlbar – aber oft physisch und psychisch bricht.

Eine 18-jährige Mutter mit ihren drei kleinen Kindern blickt ausdruckslos in die Kamera
Diese Mutter von drei Kindern ist 18 Jahre alt.
Aufklären, stärken und fördern

Unsere Partnerorganisationen in Nepal legen in ihren Projekten einen Schwerpunkt auf genau diese beiden Themen: die Verhinderung von Kinderehen und von Kinderarbeit. RDC (Rural Development Center) arbeitet breit aufgestellt mit allen Beteiligten – Eltern, Schulen, Polizei, Dorfvorständen, regionalen Regierungen – sie alle tragen eine Verantwortung dafür, dass es Kindern besser geht. Was es dazu braucht, dazu werden sie in Kampagnen aufgeklärt, zu Workshops eingeladen, auch individuell beraten und unterstützt.

ca. 4-jähriges Mädchen mit rosa Kopftuch und Schulheft blickt glücklich in die Kamera
Glücklich zu lernen

Unser Partner Chhori stärkt besonders benachteiligte Mädchen der unteren Kaste. Lokale Kinderkomitees unterstützen und beraten Mädchen und Jungen, arbeiten darüber hinaus präventiv, klären in ihren Gemeinden auf. „Bei uns im Dorf haben wir schon vier Kinderehen verhindert“, erzählt mir ein Mädchen aus einem Kinderclub. „Wir sind als Gruppe zu den Familien gegangen, haben über Schmerzen und Schulabbruch gesprochen.“

Hier in der Ziegelei ist diese Arbeit noch am Anfang. Der Kontakt zur örtlichen Grundschule ist geknüpft, die Kinder erhalten Schulmaterialien und in Nachmittagskursen auf dem Ziegeleigelände gibt es erste informelle Angebote, die auch den arbeitenden Mädchen und Jungen Bildung ermöglichen.

Ein Anfang ist gemacht
Ein kleiner Junge steht im Eingang einer sehr niedrigen und staubigen Hütte aus Lehmziegeln
Die Lehmhütte, die die Familie ihr Zuhause nennt (Foto: Weidemann)

Der kleine Taral zeigt mir zum Abschluss noch, wo er gerade wohnt. Der brusthohe Lehmbau ist nicht mehr als ein Unterschlupf zum Schlafen. Für ihn ist es das Zuhause, das er kennt.

Wenn er morgens dort herauskrabbelt, sieht er auf den hohen Kamin des Brennofens in der Ziegelei. Taral ist jetzt fünf. Ich wünsche sehr, dass er einmal weiter sehen wird, als es seinem Vater, seinem Großvater, seinem Urgroßvater möglich war. Dass er zur Schule gehen, lernen, sein Leben träumen und in die eigene Hand nehmen kann. Ein Anfang ist gemacht.

Fotos, wo nicht anders angegeben: Jakob Studnar

Hier geht es zu Teil 1 meines Nepalberichts.

 

 

 

 

 

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Autor: Katrin Weidemann

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