Luftbrücken sollen retten

Luftbrücken sind da, um zu retten. Das war vor 71 Jahren in Berlin so. Das gilt bis heute. Aber etwas Entscheidendes hat sich geändert.

Es war heute vor genau 71 Jahren, auch ein 16. April, als die Versorgung der Westberliner Bevölkerung durch die Berliner Luftbrücke ihren Höhepunkt erreichte. Als Reaktion auf die Sperrung aller Versorgungswege durch die sowjetische Besatzungsmacht hatten die Westalliierten 1948 begonnen, etwa 2,2 Millionen Menschen in Westberlin über Flugzeuge zu versorgen. Am 16. April 1949 rief General William H. Tunner, der die Luftbrücke koordinierte, alle Beteiligten zu einer „Oster-Parade“ auf. Innerhalb von 24 Stunden erreichten in dieser konzertierten Aktion 1.298 Flüge Westberlin. Sie brachten Tausende Tonnen Fracht, Getreide, Trockenmilch, Kohle und Medikamente. So viel, wie an keinem anderen Tag.  Eine Rettungsaktion durch Rosinenbomber.

Foto: Pixabay
Luftbrücke im Jahr 2020

Heute, im Jahr 2020: wieder eine Luftbrücke. Vor genau einer Woche brachten Flugzeuge die ersten Tausend an. Obwohl der Corona-Shutdown die Grenzen abgeriegelt hat, die Einreise nach Deutschland für Ausländer momentan nicht möglich ist, es sowieso kaum Flüge gibt, es für die ersten Tage Quarantäne-Unterkünfte braucht und und und. Aber für Notfälle muss es Ausnahmeregelungen geben. Und wunderbarerweise wurde so eine Ausnahme möglich. Eine Luftbrücke wurde errichtet, von Staats wegen, schnell und unkompliziert. Es ist ja ein Notfall. So kamen vor genau einer Woche die ersten Tausend in Deutschland an. Eintausend von 80.000, die im April und Mai nach Deutschland eingeflogen werden. Eine echte Rettungsaktion. Ach ja: Es sind 80.000 Erntehelfer, die den deutschen Spargel retten werden, damit er nicht auf den Feldern verrotten muss.

Foto: Muhanned al-Mandil / Junge im Camp Moria
In einem Camp für 2.200 Geflüchtete leben 20.000

Gestern kam auch ein Flieger an. In Luxembourg. 12 saßen darin. 12 Kinder aus dem grauenhaften griechischen Flüchtlingslager Moria, aus Chios und Samos. Am Samstag sollen weitere 50 Kinder von Athen aus nach Deutschland geflogen werden. Das ist der Rettungsplan für die Flüchtlinge an der EU-Außengrenze. Bereits vor einem Monat hatten sich einige EU-Staaten darauf verständigt, wenigstens 1.600 besonders gefährdete, meist unbegleitete Minderjährige aus den überfüllten griechischen Flüchtlingslagern zu holen. Doch weil Corona weltweit wütet, verzögerte sich das Vorhaben. Ist halt leider alles schwierig in diesen Zeiten.  Jetzt kommen also die ersten in Europa an: erst zwölf, dann fünfzig, Kinder und Jugendliche. Allein in Moria leben etwa 900 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. In einem Camp, dessen innerer Teil offiziell für etwa 2.200 Menschen ausgelegt ist und auf dessen Areal mittlerweile 20.000 Menschen leben. Geschätzte 14.000 von ihnen sind minderjährig. Sie leben ohne fließendes Wasser und ohne Strom. Sie leben auch in Zeiten von Corona so eng zusammengedrängt, dass Abstandhalten eine Illusion und regelmäßiges Händewaschen so gut wie unmöglich sind. Sie erleben zunehmende Gewalt, und immer mehr setzen ihrem Leben selbst ein Ende.

„Auch während und nach der Corona-Krise ist die Bevölkerung mit hochwertigen Lebensmitteln in ausreichender Menge zu versorgen“, so beginnt das Konzeptpapier von Landwirtschafts- und Innenministerium, das die Luftbrücke zur Rettung des deutschen Spargels ankündigt. Wie muss sich solch ein Satz für die Menschen in Moria anhören?

Der Spargel hat in diesem Jahr einen bitteren Beigeschmack.

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Autor: Katrin Weidemann

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