Bangladesch: Jute, Jugend, Klimagerechtigkeit

Sie war braun, kratzig und roch etwas streng. Die Jutetasche aus Bangladesch war in meiner Jugend so etwas wie das Erkennungszeichen von Menschen mit alternativem Lebensstil. Die Kampagne „Jute statt Plastik“ des Fair Trade-Pioniers GEPA traf den Nerv der Zeit. Wer ein Leben führen wollte, das die Umwelt schonte und nicht zu Lasten der Menschen im Globalen Süden ging, trug Jute. Heute ist es vor allem die Jugend in Bangladesch selbst, die Klimagerechtigkeit fordert – auf Klimakonferenzen, mit ambitionierten Projekten zum Plastikrecycling und als Vorbild für den Klimaschutz im Alltag. Denn ihrem Land, das regelmäßig Sturmfluten und heftigen Regenfällen ausgesetzt ist, steht das Wasser buchstäblich bis zum Hals.

Jute statt Plastik

„Es gibt jute Beutel und schlechte Beutel“, hieß es damals in meiner Jugendgruppe, und wenn wir die 40 mal 40 Zentimeter große Tasche für unsere Sportsachen oder zum Einkaufen nutzten, fühlten wir uns damit als Teil einer neuen Bewegung, die größer war als wir. Mit ihr ließen sich Zusammenhänge in unserer Einen Welt einfach erkennen. Und Verantwortung lernen. Es ging bei den 2,50 Mark – so viel kostete der Ökobeutel – nicht nur darum, für arme Frauen in Bangladesch zu spenden, sondern selbst zu handeln und den eigenen Lebensstil zu verändern.

Die goldene Faser
Tasche aus Jute mit der Aufschrift "Bangladesh"
Gar nicht mehr kratzig: die Jutetasche

Insgesamt fünf Millionen Jutetaschen haben Frauen in Bangladesch damals für Deutschland hergestellt. Und damit ihre eigene wirtschaftliche und gesellschaftliche Stellung verändert. „Jute was our golden fibre“ erklärt mir Shubhomoy Haque auf unserer gemeinsamen Reise in den Südwesten Bangladeschs. Als Landeskoordinator leitet Shubhomoy unser Kindernothilfe-Büro in der Hauptstadt Dhaka. Er kennt die lange Geschichte der Juteproduktion in seiner Heimat und weiß, wie wichtig die „goldene Faser“ in den 1980er und 90er Jahren für die bengalischen Frauen war. Sie konnten damals mit dem neuen Einkommen ihre Familien ernähren und sogar für später, als der Jute-Boom abebbte, vorsorgen. Mit dem verdienten Geld gründeten viele ihre eigenen Kleinunternehmen, züchteten Hühner oder Fische.

Jugend fürs Klima

Heute hat sich die Situation vieler Familien deutlich verschlechtert. Bangladesch gehört zu den Ländern, die weltweit am meisten vom Klimawandel betroffen sind. Durch den steigenden Meeresspiegel droht ein Fünftel der Landesfläche dauerhaft überflutet zu werden. Im August 2022 stand nach heftigen Regenfällen ein Drittel des Landes unter Wasser. Manche Küstenbewohner haben zum vierten Mal in einer Generation ihr Zuhause verloren. Es ist vor allem die Jugend Bangladeschs, die sich jetzt mit immer lauter werdender Stimme für Klimagerechtigkeit einsetzt.

Klimakonferenz und Klima-Clubs

Gerade mal eine Woche bin ich in Bangladesch und erlebe während dieser Zeit eine ganze Reihe von Jugendveranstaltungen zur Klimakrise. An einem Tag, auf der dritten Coastal Children´s Climate Conference in der südwestbengalischen Küstenregion Khulna, tauschen sich mehr als 300 Kinder und Jugendliche über die Auswirkungen des Klimawandels und die Folgen der Umweltzerstörung auf ihr Leben aus. Sie teilen Ideen zu gelungenen Kampagnen, planen Projekte, formulieren Petitionen, und abends singen, tanzen und feiern sie gemeinsam.

Am nächsten Tag treffe ich mich im Dorf Burirdanga mit Jugendlichen des regionalen Klima-Clubs. Auf einer riesigen Plane – aus Plastik, nicht Jute – sitzen wir im Hof der örtlichen Sekundarschule auf dem Boden. Die gut 20 Jugendlichen, die sich mit Hilfe unseres Partners JJS organisieren, kommen alle aus der Umgebung. Und sind landesweit bestens vernetzt. „31 Klima-Clubs gibt es mittlerweile“, erklärt eine 15-Jährige, „und wir werden immer mehr.“

Mitglieder eines Klima-Clubs sitzen im Kreis auf einer roten Plastikplane
Einer von 31 Klima-Klubs landesweit
Nachwachsende Ressourcen spielen immer noch eine Rolle

Ideen haben sie reichlich. Von Solarpanels für jedes neugebaute Haus in Bangladesch bis zu verpflichtenden Wasserauffangtonnen in jedem Haushalt. Weniger Gebrauch von Plastik, mehr nachwachsende Ressourcen, wie die Jute eine war. Das setzen sie für sich selbst immer mehr um. Und schauen auch mir im Gespräch genau auf die Finger. „Dein Kugelschreiber besteht aus Plastik“, stellt eine der jungen Frauen fest. Ich fühle mich ertappt, obwohl mein Stift aus recyceltem Plastik besteht. Doch Abhilfe naht. Die Stifte der Jugendlichen haben alle eine Ummantelung aus Papier. Die Gruppe hat die Stifte im Rahmen eines Projekts selbst produziert. Sie liegen gut in der Hand, weich im Griff, ihre Mine schreibt klar ohne Kleckser. Damit schreibe ich gerne weiter.

Engagement von lokal bis international

Eine beachtliche Reihe von jugendgeführten Organisationen lerne ich auf kleinen und größeren Veranstaltungen noch kennen. Bei all ihren Aktivitäten spielt der Umgang mit den Folgen des Klimawandels eine Rolle. Sie initiieren Kampagnen in Schulen, organisieren Klima-Talks in ihren Gemeinden, sammeln Daten und bringen sie in Diskussionen mit Politikvertreter:innen ein. „Als Aktivisten haben wir meist kein Geld“, erzählt ein Teilnehmer. „Aber wir sammeln Statements aus den Regionen, packen sie in eine Veröffentlichung und schicken sie dann zur COP.“ So brachten Jugendliche zusammen mit unseren Partnerorganisationen bereits mehrfach ihre Stimme mit ihren Beobachtungen und Erfahrungen auf internationaler Ebene ein, ob beim Nachhaltigkeits-Gipfel der Vereinten Nationen oder bei den Weltklimakonferenzen (COP).

Hütte in Überschwemmungsgebiet
Die Klimakrise trifft Bangladesch hart
Plastikrecycling für den Hausbau

Vor Ort entwickeln sie währenddessen neue Ideen, wie sie mit den vorhandenen Ressourcen haushalten und zugleich ihr Leben und das der Menschen in Bangladesch erleichtern können. „Eco Shelter“ ist so ein neues Projekt von zwei Studierenden in Dhaka. Aus recyceltem Plastik entstehen Bauteile für Häuser, die sich schnell und unkompliziert auf- und abbauen lassen. Vor drei Monaten haben sich die Gründer:innen erstmals getroffen, jetzt ist der erste Prototyp im Entstehen. Es ist einer von vielen Wegen, um mit den geschätzt acht Millionen Tonnen Plastikabfall in Bangladesch umzugehen und gleichzeitig in den überfluteten Regionen schnell für günstigen Wohnraum zu sorgen.

Ob das Öko-Haus oder der Papier-Stift gleich eine neue „goldene Ära“ für die Wirtschaft Bangladeschs einläuten werden wie damals die Jute? Ich weiß es nicht. Bei allen Begegnungen erkenne ich aber deutlich: Das Gold dieses Landes, es ist seine Jugend.

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Autor: Katrin Weidemann

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