Aufbruch zu einer neuen Projektreise: In den nächsten zehn Tagen werde ich einige von den Menschen treffen, die wir mit unserer Arbeit in Bangladesch erreichen. Wie sind ihre Lebensbedingungen? Welche Perspektiven haben sie und wie können wir sie bestmöglich unterstützen?
Zwischen Bangladesch und Deutschland liegen 8.000 Kilometer Flugstrecke. Einen ersten Eindruck davon, wie groß die Entfernung zwischen den beiden Ländern ist, bekomme ich beim Umsteigen in Dubai. Ich erkenne es an meinen Mitreisenden. War ich zwischen Düsseldorf und Dubai noch umringt von einer bunten Mischung aus Pauschaltouristen, Geschäftsreisenden, Weltenbummlern und Eltern mit Kindern aus aller Welt, verändert sich das Bild ab Dubai schlagartig. Als ich dort gegen ein Uhr nachts das Abflugterminal nach Dhaka erreiche, bin ich plötzlich – gefühlt und wahrscheinlich auch tatsächlich – die einzige Europäerin. Und: genau eine von vier Frauen.
Private Wareneinfuhr im großen Stil
In der dicht gefüllten Abflughalle warten bereits gut dreihundert Männer auf den Aufruf unserer Maschine nach Bangladesch. Die meisten tragen leichte Sportkleidung oder luftig lange Gewänder. Dennoch reisen sie mit schwerem Gepäck. Das wird mir spätestens am nächsten Morgen bei unserer Ankunft in Dhaka klar, als die Flughafenverwaltung in der Gepäckhalle extra ein zweites Förderband anlaufen lässt: nur so schaffen sie es, die unglaubliche Menge an Koffern, Beuteln und Taschen, unförmig verschnürten Pappkartons und Bündel aus zusammengeknoteten Bettlaken einigermaßen zügig zu ihren Besitzern zu bringen. Es sind Mitbringsel für die Familie zu Hause.
Geschätzte acht Millionen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger aus Bangladesch arbeiten im Ausland. Arbeitsmigration – vor allem in die Golfstaaten – ist für viele Menschen in Bangladesch eine Strategie, um mit Überbevölkerung und dem gesättigten Arbeitsmarkt umzugehen. Gleichzeitig sind Rücküberweisungen eine wichtige Einkommensquelle.
Niemand kommt mit leeren Händen
Auf dem Gepäckband am Flughafen fährt jetzt all die wertvolle Fracht an mir vorbei, die mit dem Lohn monatelanger Arbeit auf einer Baustelle, im Hotelgewerbe oder auf einem Containerschiff erworben wurde: Fernseher und Computerbildschirme, Haushaltswaren und Spielzeug.
Die Einreiseprozedur ist langwierig und nicht auf Touristen ausgerichtet. Ich bin froh, dass die Fragen auf dem Zollformular neben Bengali auch auf Englisch gestellt sind. Auf einer umfangreichen Liste soll ich detailliert ankreuzen, ob ich mehr als eines der folgenden Güter mit mir führe: Waschmaschine, Trockner, Herd, Telefon, Feuerlöscher, Staubsauger, Waffen und Munition, Gold und Edelsteine. Wahrheitsgemäß kann ich jedes Mal ein „Nein“ ankreuzen.
Bangladesch heißt: viele Menschen, wenig Raum
Und dann bin ich angekommen. In dem Land, das so klein ist, dass es gerade einmal die Fläche von Bayern, Baden-Württemberg und der Schweiz umfasst. Und in dem dennoch so viele Menschen leben, dass es weltweit nur acht Länder mit einer höheren Bevölkerungszahl gibt. Das macht Bangladesch zu dem am dichtesten besiedelten Flächenstaat der Welt mit 1.111 Einwohnern pro Quadratkilometer.
Einigen von ihnen werde ich in den nächsten Tagen bei Kindernothilfe-Projekten begegnen. Darunter auch denjenigen, die erst seit zwei Jahren in Bangladesch leben: Männern, vor allem aber Frauen und Kindern der Rohingya aus Myanmar. Als muslimische Minderheit leiden sie dort schon seit Jahrzehnten unter Diskriminierung und extremer Armut. Nach massiven Gewaltausbrüchen und Verfolgung Ende August 2017 flohen sie ins benachbarte Bangladesch. Hier entstand im Distrikt Cox´s Bazar innerhalb kürzester Zeit das größte Flüchtlingscamp der Welt mit über einer Million Menschen. Sie sind mein Ziel für morgen.