Palanca ist das östlichste Dorf der Republik Moldau. Direkt an der Grenze zur Ukraine schmiegen sich winzige Häuser aus Lehm, Stroh und Holz in das Mündungsgebiet des Dnister. Circa 1700 Einwohner zählte Palanca. Bis zum 24. Februar …
Im Durchgangslager
Ich besuche das Durchgangslager auf einem Feld am Ortsrand von Palanca. Dort wurde Ende Februar eine erste Anlaufstation für Geflüchtete aus der Ukraine errichtet. „Anfangs ging es ziemlich chaotisch zu“, erzählt eine Mitarbeiterin des Camps. Anfangs, als jeden Tag Hunderte Menschen über die Grenze hierher in die Republik Moldau flohen. Eilig wurden damals die ersten Zelte errichtet. Im Verpflegungszelt gibt es Placinta, das moldawische Nationalgebäck, mit Marmelade oder Schafskäse gefüllt, Wasser, Kaffee. Saft und Joghurt für die Kinder. Neben dem Verpflegungszelt stehen Infozelte, eine Ausgabestelle für Hygieneartikel, Toiletten.
120.000 Menschen, vor allem Frauen und Kinder, durchliefen bisher das Camp in Palanca. Shuttlebusse brachten die Geflüchteten von der fünf Minuten entfernten Grenzstation hierher. Für die meisten war und ist es ein erster Ruhe- und Anlaufpunkt nach oft tagelanger kräftezehrender Reise.
„Wir wollten nur noch weg!“
Gepäck haben die wenigsten dabei. „Wir saßen wochenlang im U-Bahn-Schacht, während draußen die Bomben fielen“, erzählt mir später eine Frau aus Odessa, die ich im Zentrum unseres Partners CONCORDIA Sozialprojekte spreche. „Als wir uns rausgetraut haben, wollten wir nur schnell weg. Ich hab all meine Dokumente vergessen, mein Sohn ging ohne seine Brille, ohne die er kaum sehen kann. Wir wollten nur noch raus.“
Schuhe, Kleidung, Hygieneartikel und Verpflegung erhalten die Geflüchteten in Palanca. Und etwas, das genauso wichtig für sie ist: eine erste Perspektive.
Ein Ort zum Ankommen – in Moldau und anderswo
Am hinteren Ende des Camps stehen Busse. „Die Geflüchteten können selbst entscheiden, wohin sie weiterreisen wollen“, erzählt eine junge Frau, die die Transporte organisiert. Zweimal täglich fahren Busse von hier in die moldawische Hauptstadt Chisinau. Manche Busse fahren weitere Städte in Moldau an. Und einer geht regelmäßig nach Rumänien. Von dort gibt es die Möglichkeit, auch in andere EU-Länder weiterzureisen. Keiner bleibt länger im Camp in Palanca.
„Wie weit ist es von Frankfurt nach Stuttgart?“ Eine Ukrainerin im geblümten Kleid spricht mich vor dem Verpflegungszelt an. Sie kam heute mit ihren drei Kindern an und will weiter nach Deutschland. In Stuttgart kennt sie einige Leute, war auch schon einmal dort. Der organisierte Transport nach Deutschland bringt sie nur bis nach Frankfurt, jetzt überlegt sie, wie sie die Weiterreise schaffen kann. Während wir uns unterhalten, zupft ihre elfjährige Tochter an ihrem Kleid. Sie will weiter, raus aus dem Lager, das nur eine Station auf ihrer langen Reise sein wird. Ich kann sie gut verstehen: Endlich einen Ort zum Ankommen finden, das wünscht sie sich.
Viele andere wollen in der Nähe ihrer Heimat bleiben. Wer in Moldau Asyl sucht, der wird nebenan im Zeltlager untergebracht, für maximal 72 Stunden – länger soll das Antragsverfahren nicht dauern. Das moldawische Innenministerium hat die Zelte errichten lassen. So überfordert mir das ärmste Land Europas ansonsten im Umgang mit Zigtausenden von Geflüchteten aus dem Nachbarland erscheint – hier sorgen sie dafür, dass niemand dauerhaft in der provisorischen Zeltstadt hausen muss.
Ein Haus voller Mitgefühl
Damit das gelingt, kümmert sich auch der Kindernothilfe-Partner CONCORDIA Sozialprojekte um die Ankommenden in Moldau. In Tudora, nur wenige Minuten von Palanca entfernt, unterhält er ein Multifunktionszentrum. „Empatie“ steht in großen Lettern auf der Eingangstür, und ich erlebe einen Tag lang, dass das für die Menschen aus der Ukraine nicht nur ein Wort ist, sondern etwas, das sie hier erfahren. Es ist ein sicherer Ort für die Kinder, ein Treffpunkt für die Familien. Hier erhalten sie warme Mahlzeiten, Beratung, Zuwendung und psychologischen Beistand.
Mit den neu angeschafften Laptops können die Schulkinder am Online-Unterricht ihrer Heimatschule teilnehmen. Jetzt sind gerade Sommerferien, da überlegen die Mitarbeitenden zusammen mit den Familien, ob sie auch einen Präsenzunterricht hier im Zentrum organisieren sollen. Für die Kleinsten gibt es Spielangebote, im Garten laden ein Trampolin und ein Klettergerüst zum Toben ein.
Bei einem kleinen Rundgang über das Gelände zeigt mir Tatjana das Gewächshaus mit den Tomatenpflanzen. An langen Stangen wachsen sie in die Höhe. „Jede Familie kümmert sich hier um eine der Tomatenreihen“, erklärt mir Tatjana. Das Gemüse hilft ihr, den Speiseplan anzureichern, und gibt ihren Tagen Struktur und Beschäftigung – was mindestens genauso wichtig für sie ist. „Den Tomaten kann man fast jeden Tag beim Wachsen zuschauen.“ Es bewegt mich: Während in der Ukraine die Zerstörung des Kriegs wütet, findet Tatjana hier in Moldau jeden Tag ein kleines Stückchen Wachstumserfolg.