Hütte an Hütte reiht sich in den Hügeln hinter Cox’s Bazar. Hier, ganz im Süden von Bangladesch, leben eine Million Rohingya. Viele von ihnen sind Kinder. Hinter ihnen liegen traumatische Erinnerungen an die Flucht aus ihrer Heimat Myanmar, vor ihnen eine ungewisse Zukunft. Wie werden sie damit fertig?
Bergauf, bergab
Wenn Rom auf sieben Hügeln gebaut wurde, dann entstand das Lager für geflüchtete Rohingya auf 700 Hügeln. Nur wenige Zufahrtsstraßen führen von Cox´s Bazar, unserem Übernachtungsort, in das wellige Hinterland zu dem weitläufigen, in mehr als 20 Blocks eingeteilte Camp.
Seine Fläche misst nur circa fünf mal fünf Kilometer, und doch leben dort rund eine Million Menschen. Weder Stacheldraht noch Mauern umgeben das Gebiet. Es ist eher eine zunehmende Verdichtung, die uns bei der Anfahrt erste Hinweise gibt auf die Hunderttausenden, die in dem hügeligen Gelände eine vorläufige Bleibe gefunden haben: die zunehmende Dichte an Hütten und die zunehmende Verkehrsdichte auf der engen Landstraße, wo bunte CNGs, die dreirädrigen cycles with natural gas, im waghalsigen Slalom Fußgänger und Schlaglöcher umkurven.
Wir sind zeitig aufgebrochen, um dem oft kilometerlangen Geländewagentross internationaler Hilfsorganisationen, der sich morgens und abends von Cox´s Bazar zum Rohingya-Camp und zurück quält, zuvorzukommen. Fast eine Stunde sind wir unterwegs, dann biegen wir bei einem Polizeiposten ab, ein Stück weiter werden unsere Papiere und Zugangsberechtigungen noch einmal kontrolliert. Ab hier laufen wir zu Fuß. Es hat bereits über 35 Grad, die Luftfeuchtigkeit ist hoch, jedes Kleidungsstück klebt nach wenigen Schritten am Körper.
Malek pumpt
Über schmale Lehmpfade, Bambusbrücken und Treppen aus sandgefüllten Jutesäcken laufen, klettern und manchmal auch rutschen wir von Hügel zu Hügel. Auf einem davon erwartet uns Malek, ein jugendlicher Rohingya. Stolz zeigt er uns „seine“ Pumpe, die mit Kindernothilfe-Spenden finanziert wurde: zweimal täglich fördert sie 20.000 Liter Wasser in die großen Tanks, die mehrere Zapfstellen bedienen. Malek hat als Pumpenwart eine wichtige Aufgabe für die Gemeinschaft in seinem Block übernommen. Nach einer Schulung durch unseren Partner misst er regelmäßig die Wasserqualität, berechnet danach die Menge an Chlor, die er dem Wasser zufügt und überwacht jeden Pumpvorgang.
Hygiene und Hochzeiten
Auf den nächsten Hügeln hat unsere Partnerorganisation in den Anfangsmonaten des Lagers 27 Latrinen und Waschräume gebaut (Foto). Sie stehen auf stabilen Betonsockeln und halten zur Monsunzeit auch starken Regenfällen stand. Solarlampen beleuchten den Zugang zu den Toiletten. „Ich bin froh, dass ich nachts den Weg finde und keine Angst haben muss“, erzählt eine Frau aus dem Child Protection Committee, mit dem wir uns im Anschluss treffen.
Die Mitglieder vertreten rund 140 Haushalte in ihrem Block. Was sie bei ihren Treffen erfahren und lernen, geben sie an ihre Nachbarn weiter. Sicherheit ist so ein Thema: es reicht vom Händewaschen vor den Mahlzeiten und Hygienefragen über häusliche Gewalt bis zur Frühverheiratung von Mädchen. So ist das Komitee, erfahre ich, bei der geplanten Hochzeit einer 14-jährigen Rohingya aus dem Camp geschlossen eingeschritten. „Wir haben das Mädchen da rausgeholt und sind mit ihr zum Camp Office gegangen.“ Jetzt sei das Mädchen in Sicherheit, die Hochzeit abgesagt.
Während wir uns in der niedrigen Hütte unterhalten, beginnt es draußen immer stärker zu regnen. Wie gut, dass gleich auch noch das Jugendkomitee mit uns reden will! Auch wenn meine Beine vom ungewohnt langen Sitzen im Schneidersitz langsam zu kribbeln beginnen – in der Hütte ist es trocken.
Milli mit dem Messgerät
Kaum haben die jungen Rohingya Platz genommen, beginnen sie von den verschiedenen Aufgaben zu erzählen, die sie für ihre Gemeinschaft übernommen haben. Ich bin ganz beeindruckt. Welch starker Wille, ihre Gemeinschaft zu stärken und ihre Zukunft zu gestalten, steckt in diesen Mädchen und Jungen! Sie wurden in einem von unserem Partner begleiteten Verfahren von der Kindervollversammlung ihres Blocks gewählt. Jetzt treffen sie sich wöchentlich, tauschen sich aus, erhalten Trainings.
So wie Milli. Sie geht in die 7. Klasse und ist seit einigen Monaten die Solarbeauftragte des Blocks. Immer wenn es ein Elektroproblem gibt, wird Milli gerufen. Mit einem kleinen Messgerät führt sie eine erste Prüfung durch, wechselt bei Bedarf Leuchtkörper aus, meldet größere Schäden der Lagerleitung. Auch Rabeya wurde von den Jugendlichen gewählt. Sie kann besonders gut reden, ist Multiplikatorin für das, was in dem Jugendteam diskutiert wird. Daneben begleitet sie auch die Safety Walks mit Kindern, auf denen Gefahrensituationen im Camp erkannt und Strategien entwickelt werden, wie sie ihnen begegnen. Rabeya weiß auch, an wen sich die Kinder und Jugendlichen wenden können, wenn ihre dunklen Gedanken übermächtig werden.
Dunkle Gedanken
Belastende Träume, Angst vor der Zukunft – die haben hier viele, Kinder wie Erwachsene. Der Psychologe, mit dem ich im nächsten Projekt auf dem nächsten Hügel spreche, weiß, wie sich die Sorgen der Rohingya seit ihrer Ankunft verändert haben. Im ersten Jahr, erzählt er mir, waren es meist die grausamen Erlebnisse in Myanmar und auf der Flucht, die die Ankömmlinge im Lager immer wieder heimsuchten: es waren die in die Erinnerung eingebrannten Bilder von brennenden Dörfern, Mord und Massenvergewaltigung. Mittlerweile hinterlässt auch die nach wie vor provisorische Unterbringung im Camp, die Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, die das Leben „auf Abruf“ mit sich bringt, belastende Spuren in der Psyche der Geflüchteten.
Die Dhaka Tribune berichtet diese Woche von den Plänen der Regierung, um das jetzt noch offene Lager künftig einen hohen Zaun zu bauen. „Aus Sicherheitsgründen“, wie es heißt, mit Wachtürmen, bewaffneten Wachposten. Auch die Pläne, einen Teil der geflüchteten Rohingya aus dem Lager auf eine vor dem Festland liegende Insel zu evakuieren, werden in den Medien diskutiert.
Friedensort in Orange
Wie verarbeiten Kinder die Traumata, den Stress und die Unsicherheit ihres Lagerlebens? Hoch hinauf steigen wir mittags zu einigen der Child Friendly Spaces der Kindernothilfe. Auf Hügeln gelegen sind sie schon von weitem sichtbar (Foto). Hell orange leuchtend lädt das Kinderzentrum in Camp 17 die Kinder zum Spielen und Singen, zum Malen, Lernen und zu Mahlzeiten ein.
Barfuß betrete ich die bunte Kinderwelt. Nichts hier lässt auf den ersten Blick erahnen, welch schwere Geschichte und Erinnerung die meisten Kinder mitbringen. Bunte Bilder schmücken die Bambuswände, Matten in fröhlichen Farben liegen auf dem Fußboden. In vier Schichten und verschiedenen Altersgruppen treffen sich hier die Mädchen und Jungen, finden einen sicheren Ort und erleben im geregelten Ablauf der Gruppe ein Stück Normalität.
In einem der Räume knien Jungen und Mädchen mucksmäuschenstill und hochkonzentriert über einem Blatt Papier. „Die Kinder können noch nicht schreiben, darum malen sie, was sie belastet.“ erklärt ihre Lehrerin. (Foto). Eine andere Gruppe nebenan übt gerade erste Englische Begriffe. „Nose!“ rufen die Kinder im Chor, als die Lehrerin an ihre Nase fasst. „Eye!“, „Mouth!“.
Das Verarbeiten der erlebten Schrecken, der Alltag im Camp unter einfachsten Bedingungen, das Lernen und die Vorfreude auf eine selbstbestimmte Zukunft – all das liegt im Lager der Rohingya ganz nah beisammen. Es ist ein Auf und Ab, das Leben zwischen den 700 Hügeln des Flüchtlingslagers.
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