Ein Besuch am Rande Europas (Teil 1): Hoffnungsschimmer auf Lesbos

Ein Besuch am Rande Europas (Teil 1): Hoffnungsschimmer auf Lesbos

Am Rande Europas, auf der griechischen Insel Lesbos, spielt sich eine menschliche Tragödie ab, die zugleich von Hoffnung und Solidarität geprägt ist. In „Ein Besuch am Rande Europas (Teil 1): Hoffnungsschimmer auf Lesbos“ entdecken wir, wie das Leben der Geflüchteten aussehen kann, wenn sie außerhalb von Lagern untergebracht werden.

Im Selamet-Haus und dem Mosaik Support Centre unseres Partners Lesvos Solidarity wird deutlich, was es für Kinder bedeutet, einen sicheren Ort zum Spielen, Lernen und Leben zu haben – weit entfernt von den provisorischen Unterkünften in Zelten und Containern. Diese Begegnungen offenbaren den tiefgreifenden Unterschied, den menschliche Wärme und richtige Unterstützungsstrukturen ausmachen können.

Das Selamet Haus

Massenunterkünfte sind keine Lösung. Es ist keine neue Erkenntnis: Die dezentrale Unterbringung von Geflüchteten ist – verglichen mit zentralen Gemeinschaftsunterkünften – die deutlich bessere Variante. Zentralisierte Lager sind kostenintensiver und fördern Isolation. Die Enge, fehlende Privatsphäre und das Zusammenleben mit Personen, die unter Verfolgungserfahrungen und Traumatisierung leiden, erzeugen massive psychosoziale Belastungen. Deshalb: Massenunterkünfte sind keine Lösung. Organisationen wie Lesvos Solidarity wissen das schon lange. Und setzen darum auf menschenwürdige Unterkünfte in kleineren Einheiten. Staatliche Rechtsverstöße zerstörten vor vier Jahren eine davon.

Das Ende von PIKPA

Es geschah am 30. Oktober 2020: Im Morgengrauen rückten damals maskierte Spezialkräfte der griechischen Polizei in das auch von der Kindernothilfe unterstützte Schutzzentrum PIKPA auf Lesbos ein. Unser Partner Lesvos Solidarity musste vor Ort miterleben, wie die Bewohner*innen aus den kleinen Häusern und Unterkünften des Camps mit Bussen abtransportiert wurden. Acht Jahre lang hatte das PIKPA Camp besonders gefährdeten Geflüchteten ein humanes Zuhause auf Zeit geboten. Vor allem Ehrenamtliche und Freiwillige aus der ganzen Welt betreuten die mehr als 30.000 Geflüchteten. Die meisten kamen aus Moria, dem berüchtigten, im September 2020 abgebrannten Elendslager, „überwiesen“ an Lesvos Solidarity von den Behörden und der Lagerverwaltung: Mütter mit kleinen Kindern, Schwangere, Menschen mit Behinderung, schwer Traumatisierte und Opfer von Folter. Sie alle fanden in PIKPA Sicherheit und engagierte Betreuung. Bis zu diesem schwarzen Freitag, als der griechische Minister für Migration und Asyl den Befehl zur Räumung gab. Seine Begründung: Es sei administrativ einfacher, Geflüchtete in Großlagern zu versorgen als in mehreren kleineren Camps.

Ein Neustart: Vom Lager ins Schutzhaus auf Lesbos

Seitdem werden alle Geflüchteten in der großen Zeltstadt des Lagers Mavrovouni/Kara Tepe am Rande der Inselhauptstadt Mytilini untergebracht. Alle Geflüchteten? Nein. Seit kurzem betreibt Lesvos Solidarity wieder einen kleinen sicheren Ort mitten in der Altstadt von Mytilini: das Selamet-Haus. Von außen sieht es aus wie ein normales Wohnhaus, in einer der engen Straßen, die sich den Hügel der Altstadt von Mytilini hinaufziehen. Innen ist es ein Schutz- und Lebensraum, der bis zu 24 Frauen und Kinder beherbergt.

Leben und Wohnen „auf angemessene Weise“

Selamet – im Dialekt von Lesbos bedeutet es so viel wie, etwas „auf angemessene Weise“ zu tun. Die Renovierung eines verlassenen, dem Verfall preisgegebenen Gebäudes zur Unterbringung von vulnerablen Einheimischen und Geflüchteten – sie ist mehr als „angemessen“. Sie ist ein großes Glück. Für Frauen und Kinder, die dort Herberge finden, ist das Haus die steingewordene Wahrung ihrer Würde und Menschlichkeit. Möglich gemacht haben das Mittel aus einer WAZ-Weihnachtspendenaktion, bei der viele Leserinnen und Leser einen großartigen Beitrag zur Renovierung des Hauses geleistet haben.

Ein Leuchtturm der Zusammenarbeit auf Lesbos

Für mich ist das Selamet-Haus auf Lesbos ein Leuchtturm. In einer eindrücklichen Feier am Fuße der Burg von Mytilini haben wir Ende September das Haus eingeweiht. Das weitverzweigte Netzwerk von Lesvos Solidarity – von der lokalen Kommune bis zu internationalen NGOs – war genauso dabei wie manche der aktuellen Bewohnerinnen.
Sie kamen mit Fluchterfahrungen, aus einer Atmosphäre der Gewalt in Massenunterkünften, manche mit Kindern, die hochtraumatisiert sind. In Selamet finden sie Sicherheit und Ruhe, können Kraft schöpfen und neue Perspektiven entwickeln. Für die Verletzlichsten unter den Geflüchteten ist das Haus mit den freundlichen Farben, dem kleinen Garten und den Therapieangeboten eine Riesenunterstützung. Ein Leuchtturm, der in persönlich finsteren Zeiten einen Weg in die Zukunft leuchtet.

Das Mosaik Support Centre

Am kleinen Nordhafen der Inselhauptstadt Mytilini erinnert das überlebensgroße Denkmal einer Frau mit ihren drei Kindern „An die kleinasiatische Mutter“. Es verweist auf die „Kleinasiatische Katastrophe“ von 1922, als Griechen aus Kleinasien nach dreitausend-jähriger griechischer Besiedelung der kleinasiatischen Küstengebiete deportiert, ermordet und vertrieben wurden. Hunderttausende Mütter mit ihren Kindern konnten/mussten damals fliehen. Viele von ihnen erreichten mit Booten auch die Insel Lesbos. Sie liegt 10 km nahe an der kleinasiatischen Küste und war schon immer ein Ziel für Flüchtende.

Mosaik Support Centre Lesbos: Ein Ort der Begegnung und Unterstützung für Geflüchtete

Das Mosaik Support Centre liegt nur ein paar Fußschritte von der „Kleinasiatischen Mutter“ entfernt. Ein hellblau gestrichenes Haus mit weißen Türen und Fenstern, den Farben Griechenlands. Hier begegnen sich Menschen mit Fluchterfahrung und Ortsansässige. Sie können Englisch oder Farsi, Griechisch und Arabisch lernen, IT-Kurse besuchen oder gemeinsam Musik machen. Es gibt Aktivitäten für Kinder, psychosoziale Unterstützung und kostenfreie juristische Beratung. Und dann ist da noch die Werkstatt zum Verarbeiten von Rettungswesten in den „Safe Passage Bags Workshops“. Wenn die Teilnehmenden aus den Überresten von Gummibooten oder Rettungswesten, die am Strand zurückgelassen wurden, Taschen und Beutel nähen, bearbeiten sie auch ihre eigene Geschichte. Upcycling: Unter ihren Händen entsteht aus Weggeworfenem und Schwemmgut, aus Fluchtbooten und Neonwesten etwas Neues, Schönes. Upcycling nicht nur für die Materialien. Auch ein Neubeginn für die Überlebenden der neuen „kleinasiatischen Katastrophe“. Die einzigartigen Taschen können hier erworben werden .

Im Center und den Werkstätten erlebe ich, wie das geht: wie aus Willkommenskultur eine Miteinanderkultur wird, wie Geflüchtete von gestern die Nachbarn von heute werden.

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Autor: Katrin Weidemann

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