In diesem Jahr feiern die Kinderrechte ihren 30sten Geburtstag. Seit ihrer Ratifikation durch Deutschland 1992 wird bei uns auch über ihre Aufnahme ins Grundgesetz diskutiert. Jetzt nimmt der Prozess Fahrt auf. Braucht es Kinderrechte im Grundgesetz wirklich? Ich meine ja.
Sie ist genau halb so alt wie die Kindernothilfe: 2019 wird die UN-Kinderrechtskonvention (KRK) 30 Jahre alt. Mit ihrer Verabschiedung durch die Vereinten Nationen 1989 wurde ein wichtiger Meilenstein erreicht, Kinder als eigenständige Persönlichkeiten mit einer eigenen Stimme wahrzunehmen. Die 54 Artikel der Konvention halten fest: Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, sie brauchen über die allgemeinen Grundrechte hinaus besondere Rechte. Das Recht auf Schutz, auf Förderung und auf Beteiligung. Jedes Kind, egal, wo es lebt.
Vor 27 Jahren wurde die UN-Kinderrechtskonvention auch von Deutschland ratifiziert. Seitdem gilt auch bei uns: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorgan getroffen werden, ist … das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist“ (Art. 3 Abs. 1 UN-KRK).
Das Kindeswohl hat Vorrang
Dem Vorrang des Kindeswohls Geltung zu verschaffen – das ist damit also Pflicht und Aufgabe aller deutschen Behörden und Gerichte. Ein genauer Blick zeigt aber: die Interessen von Kindern und Jugendlichen spielen dort bisher nur eine Nebenrolle (von ihrer aktiven Beteiligung an den politischen Prozessen und Verwaltungsentscheidungen ganz zu schweigen). Das geht unter anderem aus zwei staatsrechtlichen Gutachten hervor , die das BMFSFJ (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) in Auftrag gegeben hat.
In der Umsetzung der Konvention hinkt die Realität hinterher
Natürlich ist die Situation für Kinder in Deutschland in vielem weitaus besser als in manchen Entwicklungsländern. Doch auch in einer reichen Industrienation wie Deutschland stehen Kinder und die Kinderrechte nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste. Die Armut in den Städten (und ganz besonders in allen Ruhrgebiets-Städten!) nimmt weiter zu. Allein in Duisburg, am Sitz unserer Kindernothilfe-Geschäftsstelle, lebt 20% der Bevölkerung von Sozialleistungen, die Armutsquote von Kindern ist noch einmal höher. Kindern, die in prekären Verhältnissen leben, bleiben viele Rechte verwehrt, die für andere selbstverständlich sind: Das Recht auf chancengerechte Bildung, das Recht auf gesunde Ernährung, das Recht auf Freizeit und Spiel. Von Chancengleichheit können sie nur träumen.
Die Mängelliste ist lang
Diese Lücke zwischen der Zielsetzung der Konvention und ihrer Realisierung in Deutschland sieht auch der UN-Kinderrechtsausschuss in Genf. Er hat festgestellt, dass in Deutschland zwar schon einiges für Kinder getan wird – doch die Mängelliste ist nach wie vor sehr lang.
Die wachsende Armut von Kindern in Deutschland, die unterschiedlichen Bildungschancen, das immer weitere Auseinanderdriften der Gesellschaft in Reich und Arm und erschreckend viele Fälle von Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung sind Realität. Die Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz wäre ein wichtiges Signal, dass der Staat seine Verantwortung dafür erkennt und ihr gerecht werden wird. Ein Signal für kindgerechte Lebensverhältnisse, für die Wahrung der Interessen von Kindern, ihre Beteiligung und gleiche Entwicklungschancen. Kinderrechte ins Grundgesetz bedeutet, dass jedes Kind gerechte Chancen im Leben hat.
Es geht um gerechte Chancen
Zum 30sten Geburtstag der Kinderrechtskonvention wird es dafür höchste Zeit. Denn wenn die Kinderrechte nicht im Grundgesetz stehen, wie sollen Kinder dann ihre Rechte einfordern? Wie können Gerichte das Kindeswohl in ihren Entscheidungen verpflichtend berücksichtigen? Wie können Eltern auf die Rechte ihrer Kinder pochen oder diese gar einklagen?
Aufnahme der Kinderrechte ins Grundgesetz
Jetzt bewegt sich etwas! 27 Jahre nach dem Inkrafttreten der Kinderrechtskonvention in Deutschland, ist die Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetz zum Greifen nah. Im Koalitionsvertrag hat sich die Bundesregierung erstmals und eindeutig selbst dazu verpflichtet, die Grundrechte von Kindern ins Grundgesetz ausdrücklich aufzunehmen. Eine Bund-Länder Arbeitsgruppe soll dafür bis Ende 2019 einen Formulierungsvorschlag erarbeiten.
Kinderrechte ins Grundgesetz aufzunehmen wäre ein starkes Signal an alle Kinder und Jugendlichen: Wir nehmen euch ernst! Kinderrechte sind nicht nur Kindersache. Sie gehören in unsere Verfassung.