Somaliland, eine Region im Nordosten von Somalia, hat 1991 seine Unabhängigkeit vom Rest des Landes erklärt. Unsere Projekte vor Ort umfassen präventive Dürremaßnahmen, Bildungsförderung, Kampagnen gegen weibliche Genitalverstümmelung und die Arbeit mit Selbsthilfegruppen. Meine Reise dorthin im Februar 2016 war einer der Auslöser für den Entschluss, Begegnungen und Erlebnisse in einem Blog festzuhalten.
Sie heißt Nasib, das bedeutet Glück. Stolz begrüßt sie uns vor ihrem kleinen Laden in dem Camp nahe der Stadt Burao. Ja, erzählt sie strahlend, sie sei wirklich glücklich. Dafür habe sie viele Gründe. Fünf davon stehen um sie herum: ihre Töchter und Söhne, die sie zur fünffachen Mutter machen. Welch ein Glück! Und das – sie zeigt mit ausholender Armbewegung auf die Hütte aus Holz und Wellblech, in der ich grob gezimmerte Regale mit Sodaflaschen, Seifenkartons und Zuckersäckchen erkennen kann – das sei ihr eigener Laden. Ein Glück!
Ein Ansporn für andere Frauen
Ich frage nach: Wie sie es denn geschafft habe, hier inmitten eines Camps für Binnenflüchtlinge mitten in Somaliland ihr eigenes erfolgreiches Geschäft aufzubauen? Sie lacht und holt ein Schulheft aus einer Kiste unter der Ladentheke. Das, zeigt sie selbstbewusst auf die eng beschriebenen Seiten mit den langen Zahlenreihen, das ist meine Buchhaltung. „Ich kann jetzt lesen und schreiben, und sogar auch rechnen!“. In einem Kurs unserer Partnerorganisation CCBRS habe sie das gelernt, zusammen mit 50 anderen Frauen. Sechs solche Alphabetisierungskurse finden jetzt gerade wieder statt, jeweils ein halbes Jahr lang. Im Schichtbetrieb treffen sich Mädchen und Frauen dort in einem schlichten Klassenzimmer. Das liegt günstigerweise schräg gegenüber von Nasibs Laden. Günstig für Nasib, die den Schülerinnen nach dem Unterricht Zucker oder Seife verkaufen kann. Und günstig für die Frauen: denn Nasib mit ihrem kleinen Laden ist ihnen Vorbild und Ansporn.
Dass sie für andere Vorbild ist, das war nicht immer so. Früher, berichtet Nasib, dachten die Menschen oft, sie sei blind und stumm. Wenn sie beispielsweise auf dem Markt etwas kaufen wollte, aber nicht wusste, was es kostet. „Ich wusste nie, ob mir jemand zu viel Geld abnimmt. Ich konnte die Preise ja nicht lesen. Und ob das Wechselgeld stimmte, konnte ich auch nicht erkennen. Jetzt ist das anders. Ich habe Augen und ich habe einen Mund. Und ich kann lesen und schreiben und mit den Leuten handeln!“
Nasib wirbt im Camp erfolgreich für ein Leben ohne FGM
Und Nasib tut noch mehr: sie ist aktives Mitglied einer Anti- FGM-Gruppe. FGM, diese drei Buchstaben stehen für die Qual der grausamen Genitalverstümmelung, unter der fast 98 Prozent aller Frauen in Somaliland leiden: „Female Genital Mutilation“ (FGM). Mit den Frauen aus ihrem Alphabetisierungskurs konnte sie damals erstmals Worte finden für das Leid, das viele von ihnen durch diese archaische Tradition erlitten haben. Mittlerweile macht Nasib Hausbesuche und organisiert selbst Informationsveranstaltungen zu dem Thema. Viele Frauen im Camp sind sich mit ihr bereits einig: Ihren Töchtern und Enkelinnen soll dieses Schicksal künftig erspart bleiben. Dass ein Großteil der Ehemänner ihre Frauen in dieser Absicht unterstützen, liegt auch am örtlichen Imam. Er bestätigte ihnen, dass die weibliche Genitalverstümmelung keinerlei Wurzel im Koran hat, sondern dort im Gegenteil die körperliche Unversehrtheit des Menschen, der „in schönster Gestaltung geschaffen“ sei, betont wird.
Nasibs Mann flüchtete nach Europa. Sie bleibt!
Ob ihr Mann das auch so sehe, frage ich Nasib. Energisch nimmt sie ihr jüngstes Kind auf den Arm und wendet sich mir wieder zu. „Mein Mann ist nach Europa geflüchtet“, erklärt sie. „Er ist jetzt in Malta.“ Ich bin erst einmal verblüfft. Die Flüchtlinge hier im Camp, gut einen Kilometer vor der Stadt Burao, wohnen teilweise schon 20 Jahre lang hier: vertrieben aus dem Süden Somalias, geflohen aus vom Bürgerkrieg zerstörten Orten, flüchtend vor Gewalt, vor Dürre und Hunger. Manche haben sich mit dem Leben als „internal displaced persons“ im Camp arrangiert. Nasibs Mann konnte es nicht.
Ob sie ihm denn nach Europa folgen wolle, frage ich Nasib? Sie schüttelt den Kopf. Ihr Leben sei hier. Ihr Leben und das ihrer Kinder. Das Leben der Frauen und Männer der Anti-FGM-Gruppe. Sie hätten eine Menge Aufgaben hier. Und dank der Kurse von CCBRS und der Kindernothilfe auch die Fähigkeiten, sie zu meistern. Sie findet es hier in Somaliland, ihr Glück.