Heute ist der „Moms-Day“ unserer Reise – wir treffen uns mit Selbsthilfegruppen in der ländlichen Batangas-Region, gut 100 Kilometer südlich von Manila. Sie nennen sich „Happy Moms“, „Super Moms“ oder „Active Moms“. Gemeinsam ist ihnen, dass sie sich als „Women with Hope“ (so der Name einer weiteren Gruppe) verstehen.
Obwohl wir bereits zu nachtschlafender Zeit um 5.30 Uhr aus Manila aufbrechen, erreichen wir – auch zu dieser Zeit herrschen schon Megastaus – die Provinzstadt Tuy erst gegen Mittag.
Von den mehr als 42.000 Menschen, die sich in dieser ländlichen Region auf 22 Baranggays (Gemeinden) verteilen, leben viele in bitterer Armut. Beinah 90 % der Familien, erfahren wir, verdienen nicht mal einen Mindestlohn. Auf den meisten Feldern dürfen die Bauern laut Pachtvertrag nur Zuckerrohr anbauen. Für den Anbau und Handel mit anderen Feldfrüchten fehlen ihnen Land, Wasser und Transportmöglichkeiten. Alternative Einnahmequellen zu erschließen ist eins der häufigsten Ziele für die lokalen Selbsthilfegruppen. Sie gehen es (siehe oben) mit „super“ und „active“ Energie an.
Weiter und gefährlicher Schulweg
In einer niedrigen Bambushütte sitze ich zwischen den 17 Mitgliedern der Happy Moms auf einer schmalen Bank. Auf Tagalog, manchmal auch auf Englisch, erklären uns Jenny, Myrna, Lina und die anderen ihre Situation und die Ziele, die sie sich als Gruppe, aber auch jede einzelne vorgenommen haben. Jede der Frauen hat mindestens ein Kind, keine mehr als drei. Nur die wenigsten von denen gingen früher zur Schule. Das lag an den langen Wegen – zu weit und gefährlich zum Laufen, für die Fahrt mit einem Bus fehlte das Geld. Auch die schwache körperliche Konstitution verhinderte einen regelmäßigen Schulbesuch. Unterernährung, häufige Durchfallerkrankungen wegen des unsauberen Trinkwassers – die Gründe, die die Frauen nennen, ähneln sich.
Selbsthilfegruppen-Modell: Schaffen wir das?
Als Dan, der Mitarbeiter unserer Partnerorganisation, die Frauen vor drei Jahren erstmals ansprach und ihnen das Selbsthilfegruppen-Modell (SHG-Modell) vorstellte, war ihre Skepsis groß. Würden sie ihre Situation tatsächlich nachhaltig verändern können? Würden sie es schaffen, regelmäßig 20 Pesos zu sparen? Und könnten die Darlehen aus der Gruppenkasse für jede von ihnen tatsächlich der Grundstock werden, sich aus extremer Armut zu befreien?
Woche für Woche haben sie sich über ihre Situation ausgetauscht und gemeinsam Pläne geschmiedet. Was wollen wir als Selbsthilfegruppe erreichen? Und was will ich an meiner persönlichen Situation verbessern, was strebe ich für eine Familie an? Es war für sie ein großer Schritt, daran erinnert sich Jenny noch gut, als sie schließlich ihre ersten Ziele festlegten. Auf einem großen Stück braunen Kartons wurde ein Ziel nach dem anderen aufgelistet. In die Spalten daneben schrieben die Frauen, was sie zur Erfüllung jedes Ziels benötigten und welche Hindernisse es geben könnte. Bei ihren späteren Treffen bewerteten sie dann auf einer Skala von eins bis vier, wie weit sie in der Umsetzung des Ziels gekommen sind.
Viel erreicht und noch viel vor
So haben sie für die Dorfgemeinschaft bereits den Bau einer Fußgängerbrücke über den gefährlichen Wassergraben durchgesetzt. „Hier gab es immer wieder schlimme Unglücke“, erzählt Jenny. „Kinder fielen auf dem Weg zur Schule ins Wasser und wurden einfach mitgerissen.“ Auch konnten sie mittlerweile alle ihre Kinder mit ausreichend Schulmaterial versorgen. Auf dem Karton neben diesem Ziel steht als Statusmeldung eine große vier: ist erledigt. An dem Ziel, eine Gesundheitsversicherung für ihr Dorf zu installieren, sind sie noch dran, erste Gespräche haben stattgefunden: Selbsthilfegruppen-Status zwei, konstatiert Jenny.
Es bleibt noch viel zu tun: Eine Familie, deren Kind unter epileptischen Anfällen leidet, braucht bessere medizinische Beratung und Begleitung. Jedes Haus im Dorf soll eine eigene Toilette erhalten. Und am regionalen Ernährungstag im Juli mit dem „most healthy child contest“ (Wettbewerb Gesundes Kind) wollen die Frauen auch teilnehmen. Unsere Partnerorganisation wird sie dabei stärken, begleiten und beraten. Wie gut, dass die Kinder in Tuy solche super, happy und active Moms haben!
„Stippvisite“ in der Nachbarschaft
Nach dem Selbsthilfegruppen-Treffen wollen wir „nur mal schnell“ ein Mitglied der Gruppe, das in der Nachbarschaft lebt, zu Hause besuchen. „Kommt mit, ich wohne gleich dort drüben“ lädt uns Myrna ein, eine Mittvierzigerin, die als aktuelle Schatzmeisterin der SHG gerade noch das Jahresergebnis von mehr als 24.000 Pesos präsentiert hatte.
Als Abwechslung zu dem Sitzen auf der schmalen Holzbank freue ich mich auf ein wenig Bewegung. Keine fünf Minuten laufen wir, als Myrnas mit Wellblech gedeckte Hütte vor uns auftaucht. Im Schatten eines Mangobaums grasen zwei Ziegen, dicke Büschel von Zitronengras säumen ein kleines Gemüsebeet hinterm Haus. Die Ziegen sind die ersten, die das beginnende Unwetter spürten und schutzsuchend in ihren Bambusverschlag springen. Dann spüren auch wir die dicken Tropfen und schon geht es los, ein gewaltiger tropischer Regen bricht mit Blitz und Donner aus den Wolken.
Bildung als Ansporn zum Mitmachen
Mit gut einem Dutzend Frauen und Männern drängen wir uns in Myrnas Häuschen auf die Bambusbank im Eingangsbereich und in die Schlafstube, die dank der offenen Feuerstelle auch als Küche fungiert. Über unseren Köpfen an der Pressspanwand vor dem Familienbett hängen zwei Reihen goldglänzende Medaillen an Stoffbändern. „Das ist mein Schatz“, erklärt Myrna. „Diese Auszeichnungen haben meine Kinder in der Schule bekommen.“
Ein Einschulungsbild von jedem Kind hängt an der gegenüberliegenden Wand, dazwischen entdecke ich ein laminiertes Teilnahmezertifikat des ältesten Sohnes an einem Computerkurs. Myrna weiß, dass Bildung das Leben ihrer Kinder verändern kann. Für sie war genau das vor drei Jahren der Hauptgrund, in die Selbsthilfegruppen-Arbeit einzusteigen. Sie wollte ihren Kindern einen guten Start ins Leben ermöglichen.
Die nächsten Selbsthilfegruppen warten schon
Das Gewitter tobt zwei Stunden lang über uns. Immer wieder zählen wir die Sekunden zwischen Blitz und Donner und wagen uns erst auf den Rückweg, als der Abstand mehr als drei Sekunden beträgt. Der Vorplatz der Hütte hat sich mittlerweile in einen breiten Fluss verwandelt. Wo vorher noch ein Trampelpfad am Rande des Zuckerrohrfelds lief, schäumen jetzt reißende Fluten. Mit Turnschuhen ist da kein Durchkommen mehr – dafür haben jetzt meine mitgebrachten Flipflops ihren Einsatz! Mit hochgekrempelten Hosen, die Tasche in einem leeren Hühnerfutter-Sack über die Schulter geworfen, rutschen wir durch den knöcheltiefen Schlamm zurück zum Versammlungsraum. Dort wartet eine nächste Gruppe schon geduldig auf uns. Sie wussten, wir würden bald kommen: wir waren ja „nur mal schnell“ eine Nachbarin besuchen…