Ankommen in Manila. Regen, Hitze, Verkehrsstaus. Wer Arbeit hat, erfahre ich, ist oft erst spät abends zu Hause. Immer mehr Familien verlegen deshalb ihr gemeinsames Abendessen in ein Lokal auf halber Strecke zwischen Schule und Arbeitsstelle – ein hoher Preis für das Leben in der Stadt.
Mein erster Tag in Manila. Es regnet ununterbrochen aus graubewölktem Himmel. „Bloß keine Lederschuhe mitnehmen“, rieten mir die Kollegen aus dem Asienreferat vor der Reise. „Die schimmeln bei der hohen Luftfeuchtigkeit und sind für überflutete Straßen komplett ungeeignet.“ Also kamen keine Lederschuhe in den Koffer. „Und bloß keine Stoffschuhe mitnehmen, die saugen sich bei Regen sofort voll.“ Aha. Zusammen mit leichten Treckingschuhen haben es also nur noch ein Paar Flipflops ins Fluggepäck geschafft.
Dauerregen und Dauerstaus
In den Straßen Manilas staut sich die Hitze. Das Thermometer vor dem Hotel zeigt gut 30 Grad Celsius, auch in der Nacht sind die Temperaturen kaum gesunken. Die gewaltigen Betonmassen der dichtstehenden Häuser speichern die Sonnenhitze wie riesige Kachelöfen. Von dem kühlenden Wind vom Meer (kein Ort auf den annähernd 700 Inseln der Philippinen ist weiter als 100 km von der Küste entfernt) ist in den Häuserschluchten wenig zu spüren. In unserem Hotel brummen und rattern die Klimaanlagen. Mein Hotelzimmer hat kein Fenster und riecht nach nassem Hund, aber wir sind ja sowieso meistens unterwegs. Erfreulicherweise funktioniert die Dusche.
Was der Dauerregen bewirkt, bekommen wir auf dem Weg in das Kindernothilfe-Büro zu spüren. Die meisten Abwasserkanäle der Stadt sind mit den Fluten überfordert und quellen über, die Straßen stehen unter Wasser und der Verkehr tut es ihnen gleich – er steht. Schon an trockenen Tagen ist der Berufsverkehr eine kaum erträgliche Strapaze für die Bewohner Manilas, an Regentagen ist ein planbares Durchkommen unmöglich. Für den Weg von gut 10 Kilometern ins Büro stecken wir in unserem Minivan zweieinhalb Stunden fest.
Der Alltag in Manila kostet viel Zeit
Für die meisten Arbeitnehmer in Manila ist das belastender Alltag. Drei Stunden, erzählt mir eine Büromitarbeiterin später, drei Stunden sei sie jeden Tag unterwegs – für den einfachen Weg ins Büro! Früher habe sie in einem schlichten Zimmer in der Nähe des Büros gewohnt. In dieser Slumgegend ist sie selbst aufgewachsen, wurde in einem Projekt gefördert. So hat sie die Schule geschafft, besuchte schließlich die Universität. Jetzt, berufserfahren und mit fester Anstellung, hat sie ihre karge Unterkunft mit einer kleinen Wohnung in einem hübschen Stadtviertel getauscht. Das kann sie sich jetzt leisten – zumindest finanziell.
Doch was sie dafür an Lebenszeit zahlt, ist horrend: Um sechs Uhr morgens verlässt sie ihre Wohnung, um rechtzeitig zu Bürobeginn um 9 Uhr an ihrem Schreibtisch zu sitzen. Dort verbringt sie acht bis neun Stunden. Und ist froh, wenn sie es abends bis 22 Uhr wieder nach Hause schafft. Es sind wenige Stunden, die sie ihre Wohnung nutzen kann. Ein geregeltes Familienleben mit gemeinsamen Zeiten – das höre ich in Manila immer wieder – ist schwer mit diesem Rhythmus zu vereinbaren.
Familienleben mit Einschränkungen
So finden Familien neue ungewöhnliche Vereinbarungen, um sich zu sehen. Ein Fotograf der uns am nächsten Tag begleitet, erzählt, dass sich immer mehr Familien abends in einem Lokal treffen – irgendwo auf halbem Weg zwischen dem Arbeitsplatz der Eltern und der Schule der Kinder. Würden alle zuerst nach Hause fahren, wäre es zu spät für ein gemeinsames Essen, zu spät, um sich gegenseitig von den kleinen und großen Begebenheiten des Tages zu erzählen. Also geht, wer es sich leisten kann, abends aus, um wenigstens diese Stunde Qualitätszeit miteinander zu verbringen. Das Leben in der Stadt hat einen hohen Preis.