60 Jahre Kindernothilfe – im ganzen Land feiern unsere ehrenamtlichen Mitarbeitenden das Jubiläum mit tollen Veranstaltungen. Im Mittelpunkt stehen dabei immer die Kinderrechte, wie kürzlich bei einer „Traum-Lesung“ in Hannover…
Ob es in diesem Jahr wohl 60 Veranstaltungen werden? Die Anzahl der Aktionen zum 60. Geburtstag der Kindernothilfe nimmt auf jeden Fall wöchentlich zu, und keine gleicht der anderen. Manche Events sind schwer schweißtreibend, wie der Neujahrslauf am 5. Januar, bei dem ich zusammen mit 1.200 Läuferinnen und Läufern im verregneten Duisburg rund um den Wolfsee rennen durfte. Ein anderes Mal ist es ein Pressegespräch mit drei oder vier Teilnehmenden am Runden Tisch.
Auch die Arbeitskreise der Kindernothilfe feiern das Jubiläum mit – diesmal bin ich in Hannover. Die Jakobi-Gemeinde in Kirchrode, die dem Kindernothilfe Arbeitskreis Heimat bietet, zeigt sich von ihrer gastfreundlichsten Seite. Während auf dem Kirchvorplatz die Reste des letzten Schneemanns in der Sonne schmelzen, sammeln die Kinder draußen bei Cookies und Saft schon mal ihre Wünsche und Träume.
Mein Traum ist…
Sorgfältig schreiben und malen sie auf Papierwolken, wovon sie träumen. Ich staune, wie konkret manche Berufswünsche ausfallen („Ich möchte Hebamme werden“), wie aufmerksam die Mädchen und Jungen im Grundschulalter die Welt wahrnehmen und wie ernsthaft sie sich mit ihren Problemen beschäftigen: „Ich träume von einer Welt ohne Plastikmüll“ lese ich, „Wir brauchen hier ein Gymnasium“ und „Kein Klimawandel“.
Das neu umgebaute Gemeindezentrum ist inzwischen gut gefüllt, auch aus dem Umland sind Kindernothilfe-Paten und Interessierte zum „Literarischen Nachmittag“ angereist. Dass der angekündigte Ministerpräsident Stefan Weil, der eine „Traum-Lesung“ übernehmen und Fragen der Kinder beantworten wollte, kurzfristig absagte, wird durchaus bedauert. Die Enttäuschung, so mein Eindruck, hält sich aber in Grenzen – die Kinder stehen im Mittelpunkt!
Mal singen sie das Lied vom Nilpferd und seinen Freunden, mal hören sie die Geschichte vom Jungen Albert, der lieber träumte, als in der Schule aufzupassen, und vielleicht gerade deshalb – weil er im Tagtraum immer wieder Lösungen für schwierige Fragen suchte, statt zuzuhören – später ein berühmter Physiker wurde: Albert Einstein.
Wie aus einem Albtraum ein Traum werden kann
Als ich von den ehemaligen Patenkindern Sulma und Tong erzähle, ist es ganz still. Tongs Geschichte berührt. Er wird in Myanmar geboren, seine Eltern sterben, als er noch klein ist. Weil sich zu Hause niemand um ihn kümmern kann, wird er zu einer Tante nach Thailand geschickt. Was er allerdings bei ihr erlebt, hat nichts mit Fürsorge zu tun. Vernachlässigt und körperlich missbraucht, ohne Kontakt zu Freunden, wächst er auf. Einsam. In der Thai-Schule muss er eine neue Sprache lernen, lernt weder lesen noch schreiben. Ohne Ausweispapiere gilt er als staatenlos. Sein Leben sieht er perspektivlos. Ein Albtraum.
Tongs Leben ändert sich, als er in ein Projekt kommt, das einer unserer Partner in Nord-Thailand ins Leben gerufen hat. Eigentlich ein Projekt für Waisen, die von HIV/Aids betroffen sind. Dort findet Tong, der glücklicherweise nicht erkrankt ist, ein neues Zuhause: neue Chancen, einen sicheren Ort, Familie und die Möglichkeit, zur Schule zu gehen. Dort hat Tong gelernt, für sich selbst zu sorgen und sich durchzukämpfen. Momentan – er ist inzwischen 17 Jahre alt – macht er eine Ausbildung zum Koch in Chiang Rai und möchte einmal ein eigenes Restaurant betreiben. Kann er seinen Traum wahrmachen?
Kinderrechte dürfen keine Träume bleiben!
In unserem Jubiläumsfilm, den wir anschließend gemeinsam ansehen, sind Sulma und auch Tong am Ende auch im Bild. Es sind meine Lieblingsszenen in dem Film, wenn die ehemaligen Patenkinder als Erwachsene gezeigt werden. Wenn sichtbar wird, was sie geschafft haben: sich zu entwickeln von einem Kind, das ohne Schutz und ohne Förderung lebte, ohne Teil einer Gemeinschaft mit gleichen Rechten und Chancen zu sein. Hin zu einem selbstbewussten Erwachsenen, der sein Leben in die eigene Hand nehmen kann. Und das Träumen dennoch nicht verlernt hat.